Montag, 10. Mai 2010

NRW-Wahlen

Hung Parliament... Das gibt es nicht nur auf der Insel, sondern auch im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Wie es scheint, fehlt für jedes der priorisierten Zweierbündnisse (Schwarz-Gelb und Rot-Grün) ein Sitz zur denkbar knappsten Mehrheit im Düsseldorfer Landtag.

Für die Regierungsfindung ist das eine selten spannende wie schockierende Situation. Zunächst hat sich wieder einmal bestätigt, das keine der ehemaligen Volksparteien nocht für einen repräsentativen Teil der Bevölkerung spricht. Wenn 2/5 der Wahlberechtigten zu Hause bleiben und von den Wählern nur jeweils 1/3 eine der "großen Volksparteien" wählen, ist das der eindrückende Beweis dafür, dass der Wischi-Waschi-Kurs der alten Tante SPD und der Steinzeit-CDU heute niemanden mehr hinterm Ofen hervorziehen kann. Völlig austauschbare und absolut profillose Politik um die "Mitte" des politischen Spektrums herum, ohne eindeutige Positionierung zu Kernthemen und Strategie - Willkommen bei Schwarz-Rot, der Großen Koalition der Unfähigkeit.
Den Grünen muss man trotz allem wohl gratulieren: Ein solches Ergebnis ist wirklich respektabel. Nichtsdestotrotz ändert das nichts daran, dass die Grünen nicht im Geringsten regierungs- und zukunftsfähig sind. So sehr ihre Themen im Kern berechtigt sind, so wenig sind die Vorschläge zu Ende gedacht und damit absolut nicht zukunftssicher. Die FDP konnte zwar leicht zulegen, hat aber dank auch wohl des vollkommen falschen Kurses während des letzten Winters Wählerpotential eingebüßt. Die Schmuddelkinder von der SED sind leider eingezogen, z. T. mit mehr als 10 % Stimmanteil in einigen Wahlkreisen. Eine traurige Bilanz für jeden Demokraten.

Die Koalitionsfrage ist dadurch aber spannender denn je: Formeller Wahlsieger ist die CDU mit einem wahnsinnsvorsprung von 0,1 %-Punkten vor der SPD und somit traditionell eigentlich der "erste Zugreifer" für eine Regierungsbildung - formell. Allerdings kann man nicht abstreiten, dass gerade Herr Rüttgers mehr als deutlich abgewählt worden ist und somit keinen Führungsanspruch für NRW mehr haben kann. Aufgrund der Patt-Situation von SPD und CDU gereicht das allein aber nicht dem hauchdünnen Verfolger für den Zugriff bei der Regierungsbildung: Auch die Rot-Grüne Wunschkoalition von Frau Kraft kann nicht alleine regieren. Will man nicht die große Koalition unter zwei ebenbürtigen "Wahlsiegern" (quantitativ betrachtet), die so im faktischen nicht funktionieren kann, bleibt nur der Gang in das 3er-Bündnis übrig. Was auf Bundesebene mit dem politischen Blinddarm CSU schon nur leidlich funktioniert und erst für die politische Krise in NRW mitverantwortlich ist, bereitet auch in NRW große Probleme.
Option 1 ist Rot-Rot-Grün: Eine Regierungsmehrheit von sozialistischen Ökoterroristen und der West-SED, die Frau Kraft immer noch - und diese moralische Integrität muss man ihr wirklich hoch anrechnen - scheut und als Tabubruch sieht, wäre die denkbar schlechteste Koalition für Deutschland, wenn nicht gar Europa. Die Debatte über die Griechenland-Krise der letzten Tage hat mehr als deutlich gezeigt, dass die SED und auch die SPD nicht regierungsfähig sind. In der Sache mit ihrem Anliegen durchaus berechtigt, kann man die Griechenland-Hilfe nicht von der Bedinungen finanzmarktrechtlicher und -politischer Reformen abhängig machen - bis sich international dort etwas tut, wäre Griechenland längst im Bürgerkrieg versunken. Die Reformdiskussion im Nachgang auf die politische Agenda zu setzen, wäre der eindeutig bessere Weg gewesen: Politisch (Keine weitere Zustimmung ohne Reformen) wie auch moralisch.
Option 2 ist Jamaika - aber diese besteht nur auf dem Papier. Die Grünen gehen in Blockadehaltung und haben sich im Eifer des Gefechts am gestrigen Wahlabend schon wieder ins Koalitions-Abseits geschossen, indem dummdreiste Antworten von Führungspersonen das Parteienklima vergiftet haben. Und das von den angeblichen Klimarettern....
Option 3 wäre die Ampel: Politisch erprobt bisher nur in früheren Zeiten und in politischen leichtgewichtigeren Ländern. Unter den richtigen Rahmenbedingungen wäre das sicherlich ein gangbarer Weg. Im Deutschland des Jahres 2010 ist diese Option aber wohl ausgeschlossen: Zu tief sind die Gräben insb. zwischen Grün und Gelb, in der Regel auf der ideologischen Ebene. Pragmatische Politik erscheint unter diesen Vorzeichen absolut unmöglich, auf strategisch-grundsätzliche Ebene absolut ausgeschlossen. Die Grünen haben bereits sehr deutlich ihre Positionen aufgezeigt und Kompromisse mit der nahezu konträren FDP erscheinen mir doch eher sehr unwahrscheinlich - und dass, obwohl auch die Grünen einige Realitäten bewusst oder unbewusst ausblenden, die Ansatzpunkte für programmatische Kompromisse wären:
Was eine Bildungsreform auslösen kann, kann man sehr gut in Hamburg sehen: Dort funktioniert die Reform nicht und ich fürchte, dass man ein Bundesland mit rund 10 mal so vielen Einwohnern dadurch absolut ins Chaos stürzen wird. Ein möglicher Kompromiss wäre dort eine 6jährige Grundschule und anschließende 3-gliederige weitere Schulausbildung. Die Energiepolitik ist noch wesentlich spannender: Nach über 10 Jahren der Subvention regenerativer Energien ist der Energiewende sicherlich der Weg bereitet - was grds. auch zu begrüßen ist. Allerdings droht mit einem unüberlegten Energiekonzept wie dem insb. der Grünen der Verlust der Versorgungssicherheit. Zudem torpedieren die Grünen so gerade ihre eigenen Ansagen den sozialen Zusammenhalt betreffend: Energiekosten treffen neben der Wirtschaft, die Arbeitsplätze einbüßen wird, insb. die sozial schwächeren stark, die sich nicht ohne weiteres "sauberen" Strom leisten können - das ist in meinen Augen wirklich unsozial und ungerecht, wird bei der wahren Partei der Besserverdienenden (http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,313262,00.html) aber natürlich sehenden Auges ignoriert. Gerade hier können sozialverträgliche AKW-Laufzeiten den Übergang abfedern und das eigentliche Ziel der Energiewender besser erreichen helfen als die Holzhammer-Methode der Grünen.
Und das leidige Thema Steuersenkungen: Der Irrglaube, dass Steuersenkungen böse sind, ist natürlich immanent im linken Bereich des politischen Spektrums. Außer Betracht gelassen wird dabei aber natürlich, dass der Bundeshaushalt inzwischen so dermaßen aufgebläht ist, dass Steuersenken immer auch eine Restrukturierung der Staatsaufgaben beinhaltet - was gerade im linken Spektrum natürlich nicht gewünscht ist. Die Devise bei ihnen ist daher, dass die Kommunen endlich wieder "finanzielle Spielräume" haben müssen, die durch Steuersenkungen gefährdet sein sollen, ungeachtet dessen, dass das Land heute schon kaum noch atmen kann, im Bund dito. Über Fakten wie stimulierende Wirkung von Steuersenkungen (z. B. Andrew Mountford & Harald Uhlig, 2009) gegenüber Konsumprogrammen kann man sicherlich streiten, darf man aber nicht vollkommen außen vor lassen.
Das dahinter liegende Problem ist allerdings das grundsätzliche Verständnis von Staat, Politik und Wirtschaft in den Parteien: Die Grünen wollen mehr Sozialstaat und sind gegen die Wirtschaft, bei der FDP ist es eher umgekehrt. Und diese Positionen vernünftig in Einklang zu bringen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu kommt noch die Verhandlungsunfähigkeit von Grünen: Wie schon so oft wird von der FDP gefordert, sich der Ampel zu öffnen, während man selbst Jamaika sofort vehement ablehnt - das ist auch mehr als schlechter Stil.

Im Bund wird es darauf hinauslaufen, dass sich eine Reformblockade einstellt wie in der zweiten Legislaturperiode von Kanzler Schröder: Kein Reformvorhaben geht ohne den Bundesrat, fast alles muss in den Vermittlungsausschuss und dauert wesentlich länger. Ob wir diese Zeit haben werden, wird sich erst zeigen müssen. Dringende Gesetzgebungsaktivitäten wie letzte Woche in der Causa Griechenland wird sicherlich nicht einfacher werden.

Egal, wie es ausgehen sollte, bleibt es spannend.

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Zuletzt aktualisiert: 20. Jan, 22:05

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